Auch ich habe mich blenden lassen
und ich leide auch fast ein Jahr später immer noch darunter. Langsam komme ich aber an den Punkt, überhaupt zulassen zu können, was passiert ist, um es verarbeiten zu können. Bis vor Kurzem konnte, noch wollte ich überhaupt darüber sprechen und musste das Geschehene so weit wie möglich wegschieben, um atmen zu können.
Ich weiß immer noch nicht genau, wo ich eigentlich anfangen soll. Es ist zu viel. So viel zu viel, dass es mir seit Monaten die Sprache verschlägt und mir meine Stimme nimmt. So sehr, dass es mir das Letzte genommen hat, worauf ich immer zählen konnte, meine Worte.
Egal, in welcher Situation ich mich befand, wie ausweglos sie mir erschien, wie frustriert ich war und mich gefangen gefühlt habe. Ich habe Worte gefunden, um meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Kritik zu üben. Fehler im System aufzuzeigen.
Egal, worüber ich stolperte, es machte mir nur noch mehr Mut weiterzugehen und über Dinge zu sprechen, über die zu wenig gesprochen wird. Wunde punkte aufzuzeigen und für mich selbst auf etwas hinzuarbeiten, das zwar weit weg und manchmal auch nur eine diffuse Idee war, innerlich zu oft unmöglich schien aber immer eines ganz klar beinhaltete - dem tiefen Wunsch nicht nur irgendwo für Geld meine Zeit ab zu sitzen, sondern für andere Menschen da zu sein, sie zu begleiten und vor allem egal wie, zu stärken in dem wer und wie sie sind.
Bis letztes Jahr.
Das letzte Jahr hat dafür gesorgt, dass ich mich frage, ob das, was ich tue, überhaupt etwas Gutes ist - auf einer anderen Ebene als es der innere Kritiker sowieso ständig tut. Dass ich mich frage, wie mir das passieren konnte. Wie ich über die Zeichen hinweg sehen konnte und (mal wieder) glauben konnte, dass ich durch meine Arbeit etwas verändern kann. In dem die Ernüchterung so groß war, dass ich all meine Träume und mich als Mensch mehr denn je in Frage gestellt habe. Und vielleicht ist es die härteste aber auch wichtigste Erfahrung, über die ich je habe sprechen wollen und noch nie fiel es mir so schwer.
Der Grund: Scham.
Die pure Scham und Fassungslosigkeit darüber, wie mit mir umgegangen wurde, dass ich das zugelassen habe, dass ich meinen Traum habe benutzen lassen für wohl das ekelhaftes System* für das ich jemals gearbeitet habe und für das ich jemals Geld ausgegeben habe. Denn bevor ich dort angefangen habe zu arbeiten, habe ich dort auch einen 4-stelligen Betrag investiert, den ich heute noch abbezahle.
Der zermürbende Selbstzweifel, der immer wieder sagt, was wenn ich diejenige bin, die nicht klar sieht? Was, wenn deren Verhalten “ok” war, wenn ich es einfach verdient hatte, so behandelt zu werden. Befeuert durch eine Vielzahl an Menschen, die ihnen weiter folgen (in jeglichem Sinne) zum Teil, weil sie die Wahrheit nicht kennen und zum Teil, weil sie sich das Ausmaß der Wahrheit nicht vorstellen können, weil sie sich (noch) blenden lassen.
Und ich kann sie verstehen, denn obwohl Dinge vor meinen Augen passiert sind, wollte ich daran glauben, dass die Menschen im Herzen gut sind. Ein Glaube, den ich nicht aufgeben möchte und dennoch durfte ich auf die harte Tour lernen, dass sie dennoch böse Dinge tun und Grenzen überschreiten, die ich niemals für möglich gehalten hätte.
Aber so etwas wird ganz einfach, wenn ein Bewusstsein über die eigenen Gedanken, nicht mehr zur Selbstreflexion, sondern zur Selbstverarsche führt und “Deine Gedanken, deine Realität” bedeutet, dass du glaubst, was du willst, um zu rechtfertigen, was du (anderen an)tust.
Dies ist ein erster zaghafter Versuch, mich nicht länger von der Scham und den Selbstzweifeln klein halten zu lassen. Mich zu verstecken hinter der Angst, was diese Menschen mir noch nehmen und kaputt machen könnten, mit ihren Lügen und mit ihrem Geld für Anwälte. Mich zu verstecken hinter der Stimme der Angst, die sagt “aber du hast doch auch dort gearbeitet, du hast Menschen dorthin geholt, du hast das System mit verkauft”. Und ja, das habe ich. Und ich hadere seit Monaten damit. Aber gerade deshalb möchte ich nicht, dass meine eigene Scham noch länger dafür sorgt, dass ich diese Menschen und ihr Vorgehen mit meinem Schweigen weiter schütze. Denn genau das bewirkt die Scham in mir. Die Scham ein optimistisches, engagiertes, groß träumendes, schlecht bezahltes und 24/7 arbeitendes Mitglied eines “Teams” gewesen zu sein, das nie eines war.
This is not the End
*Ein System, das Selbstverantwortung predigt und damit einfach nur die Scham befeuert. Das dir vermeintlich Hilfe anbieten möchte, dich aber fallen lässt, wenn du sie wirklich brauchst. Ein System, das Hilfe verkauft, nicht um zu helfen, sondern um Geld zu scheffeln. Und nein, nicht im Sinne von angebrachtem Energieausgleich für ehrliche Arbeit, sondern im Sinne von Cashcow, melken bis nichts mehr geht. Und das alles unter dem Deckel, eine bessere Welt erschaffen zu wollen. Und dabei wissen wir ja alle, dass es schon immer Ferrari in der Garage und Rolex am Handgelenk sind, die die Welt verbessern…