Hi, ich bin Luisa, “die Fehlerexpertin” - Teil 1
Vor vielen Jahren habe ich meinen ersten großen Kampf hinter mich gebracht, andere würden sagen, sie haben Abi gemacht. Damals dachte ich tatsächlich, “jetzt habe ich es geschafft”, jetzt bin ich frei und alles wird gut, ohne zu ahnen, dass die eigentliche Reise und leider auch der eigentliche Kampf erst beginnt.
Ich habe keine besonders gute Meinung zur Schule und habe mir diese Zeit noch nie zurückgewünscht und gleichzeitig war sie die erste Station auf meinem Weg zur Fehlerexpertin.
Denn wenn mich die Schule eines gelehrt hat, dann dass ich einiges falsch mache und worin ich überall falsch bin. Nicht falsch genug, um den Abschluss nicht zu schaffen, aber doch falsch genug, um mich wie ein laufender Fehler auf zwei Beinen zu fühlen, dem der eigentliche Berufswunsch dadurch verwehrt blieb.
Es folgte ein abgebrochenes Studium, das mich noch mehr an mir aber doch auch langsam am System zweifeln ließ. Also brach ich aus bzw. ab, denn das System “hat Recht” und ich war wieder einmal nicht gut genug und machte zu viele Fehler, um dazugehören zu können.
Es folgt ein anderes (duales) Studium gepaart mit einem ersten Einblick in die Arbeitswelt, die ich anzunehmen versuchte und dennoch innerlich komplett ablehnte, da aber ja die Welt so zu sein schien und dieses Leben für alle um mich herum so zu funktionieren schien, blieb wieder einmal die Schlussfolgerung, dass wohl ich der Fehler im System sein muss.
Es folgte ein Job Angebot noch vor dem Abschluss, irgendetwas schien ich richtig gemacht zu haben, während ich mich sehr falsch und verlogen fühlte. Es folgte ein Umzug, der mich an einen Ort brachte, an dem ich mich falscher denn je fühlte, mit einem Job, der mich in seinen Aufgaben langweilte und in meinem Sein als Mensch komplett überforderte. Und wieder einmal schien das, was für alle selbstverständlich war, für mich wie ein falscher Film, in den ich mich verirrt hatte und verzweifelt nach einem Ausgang suchte. Ich versuchte anzukommen, mich anzupassen, das Gute zu sehen, geduldig zu sein, doch in mir wollte alles ausbrechen, schreien, weinen, aber bis dahin hatte sich eine Stimme in mir schon sehr stark gemacht und die sagte “Du bist falsch, also reiß dich zusammen und komm klar. Die Welt dreht sich nicht um dich und deine Bedürfnisse. Funktioniere! Das ist das einzige, was zählt”. Die Stimme sorgte dafür, dass ich all meine Verzweiflung in mich hinein fraß. Der nächste Fehler, denn innerhalb kürzester Zeit sah ich nicht aus, wie eine Frau auszusehen hatte und ich packte auf all meine Fehler, den nächsten Fehler drauf. Ich baute eine Hülle um mich herum, die immer dicker wurde, selbst als das Gewicht irgendwann wieder runterging, blieb diese Hülle. Die Hülle, deren hauptsächlicher Auftrag es war, den Blick auf meine Fehler auf mein echtes Ich zu verwehren. Und ich wurde sehr gut darin. So gut, bis ich mich gar nicht mehr spüren konnte und nur noch versucht habe, jemand zu sein, die nicht all diese Fehler hat, die ich nun mal habe. Ohne dabei zu realisieren, wie offensichtlich falsch ich trotzdem immer blieb. Mir wurde eine Welt vorgelebt, die mehr als je zuvor etwas darstellte, in das ich nicht rein passte und doch habe ich es versucht. Und während mir in der Schulzeit vor allem von anderen (damals noch) Mädels vermittelt wurde, dass ich falsch bin, wurde mir auf diesem Weg wiederum vorrangig von Männern regelmäßig und wortwörtlich klargemacht, was alles falsch an mir sei, warum man mich nicht lieben könne, warum ich keinen anderen Job verdient hätte, warum ich mich lieber zurückhalten sollte, warum ich dankbar sein müsste, warum ich statt Karriere einfach Kinder kriegen sollte und warum man wiederum mit mir einfach kein Kind bekommen könnte. Und warum ich als Frau eben immer nur eine Frau bleiben werde, die sich von Männern sagen lassen muss, was falsch an ihr ist und was sie anders machen muss, um vielleicht irgendwann mal mitspielen zu dürfen. Im einen Moment einfach zu laut, zu forsch, unbequem und unangepasst. Im anderen doch wieder zu sensibel und emotional. Als Frau, wenn überhaupt, als Assistentin eines Mannes geeignet und doch schon zu ambitioniert in zu jungen Jahren, um dieser Rolle angemessen gerecht zu werden (das bis dato unentdeckte Zungenpiercing brachte mir nach 4 intensiven Vorstellungsgesprächen, dann kurz vor Vertragsunterzeichnung dann doch eine Absage ein, ambitioniert, selbstbewusst UND ein Zungenpiercing war dann doch zu viel des Guten).
Ich habe auf dieser Reise Jobs gekündigt, die für andere der Jackpot sind, habe meine Meinung geäußert, wo ich es nicht hätte tun “dürfen”, bin gegangen, wo ich noch lauter hätte werden müssen. Habe zu viel rebelliert, widersprochen und war gleichzeitig immer noch so eine angepasste, weit entfernte Version von mir. Immer wieder ausgebremst durch die Stimme, die mir sagt, dass ICH der Fehler bin. Immer wieder bestätigt durch das Außen, das dafür sorgte, dass die Stimme mich dann doch immer wieder einfing und dazu brachte, es wieder stiller zu probieren, mich zwar eifrig genug zu zeigen, um jemand zu sein, die viel arbeitet aber eben dennoch demütig genug, um diese Arbeit stillschweigend zu erledigen, anstatt sie zu optimieren und mehr zu sein, wie “die anderen”.
Vor fast genau zwei Jahren bin ich ausgebrochen, auf vielen Ebenen und doch erfordert jeder einzelne Tag einen erneuten Ausbruch. Denn auch, wenn ich schon so viele Fehler auf meinem Zettel stehen habe und einiges anders mache als ich es “sollte”, bin ich immer noch weit entfernt von der unangepassten Version, die in mir ist. Da sind noch so viele Fehler, die ich bewusst begehen möchte und Fehler, die mir dadurch passieren werden, die ich möglicherweise bereuen werde, Fehler, die mir von Außen zugeschrieben werden, Fehler, die nur ich als solche sehen werde. Fehler, die ich an mir liebe und Fehler, die ich selbst nur schwer annehmen kann. Fehler, die mich zu einem unfassbar guten Coach machen und mir gleichzeitig privat manchmal das Leben erschweren. Fehler, für die mich Menschen bewundern und ich sie dennoch gerne los wäre und Fehler, für die mich Menschen verurteilen und ich sie dennoch an mir feiere.