Bye bye Social Media
Hello me.
Ich habe Instagram den Rücken gekehrt, zumindest mal für mindestens 4 Wochen. Was dann passiert weiß ich nicht. Ich habe auch keinen Plan, wie ich konkret damit umgehen möchte. Das ist kein durchdachtes Projekt. Das war ein Impuls und ich bin ihm gefolgt und ich befinde mich am späten Nachmittag des zweiten Tages. Ich habe ein Buch, das ich gestern gekauft habe, durchgelesen, ich fühle mich, als wäre ich im Urlaub. Zumindest dieses Urlaubsgefühl, das ich mir immer vorgestellt habe, wenn ich an Urlaub gedacht habe. Denn zugegebenermaßen ist Urlaub nichts, was ich besonders gut beherrsche oder mich im klassischen Sinne danach sehne. Ich sehne mich nur nach diesem ganz speziellen Gefühl und das ist am ehesten wohl mit einer Pause Taste zu vergleichen. Diese Pause, in der es kein richtig, kein falsch und vor allem keine Erwartungshaltung gibt. Diese Pause, in der man kurz das Gefühl bekommt, dass doch eigentlich alles gut ist. Fernab von Zielen, Sehnsüchten und Ängsten. Dieses Gefühl, das “wir halten die Welt kurz an”, um uns zu sammeln und zu überlegen, wie wir weitermachen, statt zu rennen und Brände zu löschen. Und das obwohl sich faktisch nichts geändert hat, außer dass ich diese App nicht mehr öffnen kann und nicht mehrere Stunden am Tag mit mal mehr, mal weniger sinnvollem Input versorgt werde.
Input, der mal unterhaltsam, mal interessant, mal sehr kritisch ist. Der unterm Strich aber dafür gesorgt hat, mich in ständiger Alarmbereitschaft zu halten, mit dem gleichzeitigen Gefühl niemals gegen ankommen zu können, gegen das, was ich dort eigentlich alles kundtun, erklären, anstoßen, kritisch betrachten und verkaufen müsste. Und wen ich zusätzlich mit klugen Kommentaren in seiner*ihrer Haltung supporten und bestärken müsste und wen ich mit klugen Kommentaren in seiner*ihrer Haltung kritisieren und einbremsen müsste. Nicht nur, dass mich diese Sucht unfassbar viel Zeit kostet, die mir an anderen Stellen fehlt, nein. Sie sorgt auch noch dafür, dass ich kontinuierlich mit einem Gefühl von Druck, Unzulänglichkeit und Ohnmacht durch die Welt wandle, das komplett blockiert überhaupt etwas von all dem längerfristig zu tun. Alles nicht so die super Gefühle und vor allem weit entfernt von meinem ersehnten Urlaubspausengefühl. Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Seit 2017 habe ich ein Instagram Konto und während ich mich dort zunächst eher notgedrungen auf Grund meiner beruflichen Situation angemeldet habe, begann ich ein paar Monate später selbst aktiv zu werden und veröffentlichte die ersten Text. Ich verwendete Instagram somit von Anfang an “falsch”, denn es ging mir immer um das Schreiben und die Texte, statt um Fotos. In wenigen Texten verarbeitete ich die Gefühle, die mit der unschönen Erfahrung einherging, die ich in genau dem Job machte, für den ich mich ursprünglich auf Instagram registrierte.
Ich sah Instagram als Zuflucht und eine Art agiles Visionboard. Fand Menschen, deren Art zu leben, zu denken und zu arbeiten mich inspirierte und mir Mut machte, dass es auch anders geht. Dass ich nicht alleine bin mit meinen Gedanken über die Arbeitswelt und ihre absurd hierarchischen Strukturen. Ich baute mir meine eigene heile Instawelt mit Menschen, die anders waren, die sich mit Themen beschäftigen, über die ich mit niemandem sprechen konnte und lernte auch neue Seiten an mir kennen. Es kamen Podcasts in mein Leben und meine Motivation, mir einen anderen Alltag zu erschaffen, stieg an.
Während des ersten Lockdowns kamen mir erste Zweifel an dieser Bubble, die mir bis dahin Halt gegeben hat und ich erweiterte diese durch andere Personen und andere Themen und begann Dinge kritisch zu hinterfragen. Bis ich in der nächsten Bubble landete.
Auch hier fand ich wieder Zuflucht und nahm zwar etwas aus der ersten Bubble mit in die neue, was mir dort fehlte, fühlte mich dennoch dort wohler. Nahm wieder einiges aus ihr mit, bis sie mich verschlang, zugunsten meines Zieles, wie ich dachte. Musste ich feststellen, dass auch diese Bubble zu viele Fragen offen ließ und zu viele Aspekte vergaß oder bewusst ausblendete. Und auch diese Bubble platzte. Dieses mal gehörte dazu aber ein tiefer Fall mit hartem Aufprall. Keine neue Bubble, die mich auffing.
Stattdessen wollte ich wieder mehr “echtes” Leben, Politik, Aktivismus. Nach diesen künstlich geschaffenen Happy/Positive/Erfolgs Blasen, die jede auf ihre Art nur das sieht und betrachtet, was entweder vermeintlich gute Gefühle oder vermeintlich gute Kontostände zur Folge hatte. Allerdings immer nur innerhalb der Bubble, alle Aspekte des Lebens außerhalb mussten krampfthaft ignoriert werden, also durch das richtige Mindset ersetzt werden oder durch ausschließlich hochschwingende Gefühle optimistisch mit Licht und Liebe betrachtet und sich selbst überlassen werden.
All das fühlte sich falsch an, mein Anspruch an mich stieg, alles miteinander zu verbinden, echte Synergien bilden, aus den jeweiligen Anschauungen lernen und adaptieren, um damit wirklich etwas zu verändern. Doch dieser Anspruch wurde täglich geflutet mit neuen “Skandalen”, mit Menschen, die ungeniert Werte vertreten mit denen sie aktiv Leute verarschen, um ihren Status zu erhalten. Mit Menschen, die mit allen Mitteln andere Menschen in ihrem Sein einschränken und beschränken und verdrängen wollen, damit ja damit keine Ahnung, ich verstehe es nicht. Mit Menschen, die in politischen Verantwortung Positionen sitzen und diese nutzen, um ihrem Ego und irgendwelchen parteipolitischen Ideologien gerecht zu werden. Während genau dieselben wiederum von Ideologien sprechen, wenn es um Werte geht, die allen dienen statt nur dem Einzelnen privilegierten weißen Mann.
Diese Liste konnte ich im Detail über mehrere Seiten ausführen. Was bleibt, ist so viel Emotion in mir, dass sie mich in ein Gefühl der Ohnmacht versetzt, die all meine kleinen individuellen Ziele unter sich zerquetscht, wie eine Ameise, die nicht einmal irgendjemand unterm Schuh bemerkt.
In mir ist auf der einen Seite so viel Wut und Motivation, die Ärmel hochzukremplen und etwas zu tun und auf der anderen Seite die absolute Ratlosigkeit, wo ich zur Hölle ich anfangen soll.
Und was von meinen Ambitionen hat mehr Chance etwas zu verändern und welche hilft nur meinem Ego sich zu sagen, dass ich anders bin als andere. Und wie kann ich zwischen all dem noch Geld verdienen, von dem ich leben kann, ohne mich kaputt zu machen, ohne Menschen auszubeuten oder zu manipulieren, ohne meine Werte zu umgehen und ohne etwas tun zu müssen, das ich anderweitig verachte oder einfach auf Dauer nicht hinkriege. Und wie soll ich dazwischen noch Bücher lesen, neues lernen und mich weiterentwickeln. Ich habe echt keine Ahnung. So richtig keine Ahnung und die habe ich schon lange nicht mehr, was nicht heißt, dass ich nicht grundsätzlich vor Ideen überlaufe, aber das sind eben nur Ideen. Ich habe aber so klar wie nie gespürt, dass die einzige Möglichkeit, das alles wirklich herauszufinden, ist, Social media den Rücken zu kehren. Um wieder bei mir anzukommen, ganz ohne Bubble, egal welche. Einfach ich, meine Gedanken, meine Ideen, meine Bedürfnisse und meine Ziele und eine Menge kluger Bücher, die schon viel zu lange hier rum liegen oder auf Listen versauern, statt von mir gelesen zu werden. Weil die Hand immer wieder mal eben schnell zum Handy greift.
Apropos Hand, ich habe gestern einfach auf dem Teppichboden gelegen, die Sorte, die so richtig flauschig ist und habe meine Hand betrachtet, wie sie sich bewegt, wie Sehnen, Muskeln und Knochen zusammenspielen für jede noch so kleine Bewegung. Und habe mich gefragt, wann ich andere das das letzte Mal getan haben und die einzigen Personen, die mir von ähnlichen Dingen in letzter Zeit berichtet hatten, waren diejenigen, die sich auf irgendeine Art psychedelischen Trip begeben haben. Ist ja jetzt DER Shit. Plant Medicine nennt man es in “besseren” Kreisen, anderen Kreisen. Und ich möchte gar nicht in diese Art Zynismus verfallen, aber irgendwie kann ich es mir auch nicht verkneifen. Das liegt aber weniger an den Substanzen und ihren Wirkungen an sich, sondern mehr an den Menschen, die diese Dinge aktuell verkörpern, die ich leider nur bedingt ernst nehmen kann (hallo eine der vielen Instagram Bubbles).
Naja jedenfalls lag ich da auf meinem Flauschteppich und habe mich gefragt, warum wir begeistert davon erzählen, wie fasziniert wir Natur, Blumen oder eine Hand plötzlich wahrnehmen können auf diesen Drogen, aber nicht im Stande sind einfach mal ein paar Tage auf Ablenkungen zu verzichten und uns einfach die Zeit zu nehmen, Natur, Blumen und Hände zu betrachten. Das ist halt weniger fancy und erfordert weit mehr Disziplin, sich bewusst der Ablenkung zu widersetzen und bewusst im Moment zu sein, als etwas einzunehmen, das uns ohne Anstrengung in diesen bewussten Zustand versetzt. Ein Wochenende ohne Handy, in Stille nur mit uns, unserem Körper und unseren Gedanken, klingt weit weniger spektakulär als krasse Erkenntnisse nach Froschgift. Logo.
Aber ich frage mich bereits heute inwiefern, wir bewusstseinserweiterung ganz ohne Substanzen erreichen, wenn wir unser Leben und vor allem den Informationsfluss wieder entschleunigen, wenn wir uns den Algorithmen entziehen und uns Zeit nehmen für die ganz unspektakulären Dinge, um einfach zu sein, statt zu tun. Eine Pause Taste, die erst einmal alles ausschaltet, was wir nicht ernsthaft brauchen, statt einer, die uns wegbeamen muss, um vermeintlich bei uns anzukommen. Aber irgendwie muss alles eben am Ende doch instagrammable bleiben, jede Erfahrung wird zum Content Piece. Ist das der Preis der Authentizität? Und schaffen wir nicht genau damit einfach nur die nächste Illusion. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich raus musste und raus wollte und sich diese Entscheidung bis dato absolut richtig anfühlt. Mal sehen, was die nächsten Wochen passiert, was sich verändert, was ich vermisse, was ich Neues finde. Wie viele Bücher ich endlich tatsächlich lesen und Projekte in die Umsetzung bringen werde. Egal, was daraus entsteht, es hat sich schon jetzt so sehr gelohnt. -